DT236: Knoten im Kopf? Warum wir manche Probleme nicht gelöst bekommen.

Vertrackte Probleme am Beispiel der Klimakrise

Es gibt eine Art von Problemen, die sich beharrlich einer Lösung entzieht. Diese Art von Problemen hat der Designtheoretiker Horst Rittel „Wicked Problems“ oder „vertrackte Probleme“ genannt. Was es damit aufsich hat und warum es auch dich betrifft, erfährst du in dieser Episode.

Inhalt der Episode

Der Begriff der „vertrackten Probleme“ kommt ursprünglich aus der Sozialpolitik und geht auf Horst Rittel und Charles West Churchman zurück. Churchmann war ein US-Amerikanischer Philosophen und Systemwissenschafter und Horst Rittel ein deutscher Designtheoretiker. In einem Austausch zwischen den beiden haben Sie diskutiert, wie die Unternehmensplanung dabei versagt vertrackte Probleme zu zähmen.

Zahme vs. vertrackte Probleme

Zahme Probleme (tame problems): relativ einfach zu lösen
Vertrackte Probleme (wicked problems): schwieriger zu lösen

Wir schauen uns die 10 Eigenschaften vertrackter Probleme an einem Beispiel an:

Beispiel Klimakrise

Das Klimasystem der Erde ist höchst komplex und trotzdem lassen sich die wichtigsten Zusammenhänge relativ einfach darstellen.

Außerdem heißt es oft „Die Wissenschaft ist sich noch uneins“, das stimmt aber so überhaupt nicht. Auch wenn über viele Detailfragen und an noch besseren Klimamodellen geforscht wird, ist sich die Wissenschaft über viele grundlegende Punkte längst einig.

Die wichtigsten Fakten rund um die Klimakrise:

  • Die Konzentration von Kohlendioxid (CO2) und anderen Treibhausgasen in der Atmosphäre ist in den letzten Jahrzehnten sehr plötzlich gestiegen und dadurch auch die Temperatur auf der Erde.
  • Der Mensch ist seit Jahrzehnten der wichtigste Faktor für diese Klimaveränderung. Ursache sind überwiegend die Verbrennung von Fossilien, also Kohle, Öl und Gas.
  • Die Erde hat sich seit 1850 (seit dem existieren verlässliche Daten) deutlich erwärmt.
  • Die Erderwärmung passiert so rasch, wie noch nie in der Geschichte der Menschheit. Weder der Mensch noch die Natur kann auf eine so rasante Veränderung gut reagieren.
  • Die wichtigsten Auswirkungen: Anstieg der Temperatur im Meer und auf dem Land, Anstieg des Meeresspiegels, die Ozeane versauern, Ausrottung von Lebewesen (z.B. Korallen samt Fischen), mehr Extremwetter-Ereignisse, Hitzetage, in weiterer Folge viele Millionen Klimaflüchtlinge

Wir Menschen sind für diesen Klimawandel verantwortlich. Er zerstört die Lebensgrundlage auf unserem Planeten.

10 Eigenschaften vertrackter Probleme am Beispiel der Klimakrise

1. Ein vertracktes Problem kann nicht eindeutig formuliert werden.

Beispiel Klimakrise: Es gibt so viele Ursachen der Erderwärmung (CO2, Methan, die Landwirtschaft, das Brennen von Zementklinker, etc.) und so viele Auswirkungen (Anstieg der Meeresspiegel, Unwetter, Hitzetote, etc.) dass man ganze Bücher damit füllen kann ohne das Problem vollständig beschreiben zu können.

2. Vertrackte Probleme haben keine Stoppregel.

Stoppregel ist ein Begriff aus der Stochastik; man kann sozusagen nie genau sagen, wann ein vertracktes Problem gelöst ist.

Eine Stoppregel für die Klimakrise wäre z.B. „Wir verbrauchen keine fossilen Rohstoffe mehr.“ Aber ist das genug? Müssen wir sogar CO2 der Atmosphäre wieder entnehmen? Sind Kippelemente eingetreten, die wir berücksichtigen müssen?

3. Lösungen für vertrackte Probleme sind nie richtig oder falsch, sondern besser oder schlechter.

Lösungen für die Klimakrise: Ansätze wie eine CO2-Steuer oder CO2-Zertifikate sind längst formuliert, aber auch diese sind für sich alleine nicht genug. Sie müssen gegeinander aufgewogen und bewertet werden.

4. Es gibt keine unmittelbare und endgültige Möglichkeit die Lösung für ein vertracktes Problem zu testen.

Ob unsere Anstrengungen genug waren, sehen wir erst in 100 Jahren, oder 200 Jahren, oder wenn es längst zu spät ist.

5. Jede Lösung zu einem vertrackten Problem ist eine einmalige Lösung.

Wir nennen das auch „one-shot operation“: Es gibt keine Gelegenheit über Versuch und Irrtum zu lernen, jeder Versuch hat Auswirkungen und zählt deswegen.

Wir wissen bereits mindestens seit den 1970er-Jahren über das Problem des menschengemachten Klimawandels. Heute (2019) wissen wir, dass alles wesentlich leichter gewesen wäre, wenn wir bereits 1990 begonnen hätten die Emissionen massiv zu reduzieren. Heute muss es viel schneller gehen. Aber auch jetzt wissen wir nicht, ob es überhaupt reichen wird, die Paris-Ziele zu schaffen. Die Wissenschaft kann hier immer nur Wahrscheinlichkeiten berechnen.

6. Die Menge der Lösungen zu einem vertrackten Problem können nicht endgültig aufgezählt werden.

Die Lösungsansätze für die Klimakrise sind vielfältig: CO2-Steuer, CO2-Zertifikate, Umstellung auf ÖPNV, Verbot von Verbrennern oder Ölheizungen, Reduktion von klimaschädlichen Förderungen, den Regenwald im Amazon nicht mehr schlägern, etc.

7. Jedes vertrackte Problem ist im wesentlichen einzigartig.

Motto von Fridays For Future: „Es gibt keinen Planeten B“

8. Jedes vertrackte Problem kann als Symptom eines anderen Problems gesehen werden.

Eine unendliche lange Liste an Kausalketten rund um den Klimawandel: Zunahme von Wirbelstürmen => Symptom von der Erwärmung des Meeres => Symptom von der höheren CO2-Konzentration in Atmosphäre => Symptom von der fossilen Verbrennungen (Öl/Kohle/Gas) => Symptom vom Energiehungers des Menschen => Symptom vom Strebens nach Wirtschaftswachstum => Symptom von (??? hier weiteren Faktor einsetzen ???)

9. Unstimmigkeiten bei der Beschreibung eines vertrackten Problems sind normal. Die Wahl der Beschreibung bestimmt die Art der Problemlösung.

Beispiel Klimakrise: Wenn wir die CO2-Emissionen in den Mittelpunkt stellen kommen andere Lösungen heraus, als wenn wir alle Treibhausgas-Emissionen betrachten oder gar die wachsende Weltbevölkerung, oder, oder…

10. Die Sozial- oder Politikwissenschafter haben kein Recht falsch zu liegen.

Die Planer sind verantwortlich für die Konsequenzen ihrer Handlungen.

Am Beispiel der Klimakrise: Es ist realativ einfach aber auch katastrophal: Wenn wir bei diesem vertrackten Problem scheitern, dann ist die Erde als lebenswerter Planet für viele tausende von Jahre (und vielleicht für immer) verloren.

Aufruf zum „Earth Strike“

Am 23. September findet der Climate Action Summit der UN statt. Unter anderem aufgrund dieser wichtigen Versammlung findet in der Woche vom 20. September bis 27. September eine weltweite Aktionswoche statt.

Das Ziel: Die Rettung der Erde.

Wir finden, dass diese Woche entscheidend für die Zukunft unseres Planeten ist. Wenn wir jetzt nichts machen, ist es zu spät. Deswegen ist es wichtig, dass viele Menschen auf die Straße gehen und der Politik klar signalisieren, dass den Worten endlich Taten folgen müssen!

In Österreich finden am 20. September Ortschild-Aktionen statt und am 27. September der „Earth Strike“. In der Woche finden österreichweit unterschiedliche Veranstaltungen statt.
Mehr Infos für Österreich: Fridays For Future Austria

In Deutschland wird im Rahmen der #week4climate in der Woche an jedem Tag zu einem anderen Thema gestreikt.
Mehr Infos für Deutschland: Fridays For Future Deutschland

In der Schweiz wird natürlich auch gestreikt:
Mehr Infos für die Schweiz: Klimastreik – Climatestrike.ch

Weiterführende Links

Lesenswerte Links zum Thema Klimawandel:

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