In der Vergangenheit wurde der Begriff „Kreativität“ selten verwendet. Menschen haben einfach Dinge erfunden und entdeckt, ohne sie mit besonderen Etiketten zu versehen. Doch in der modernen Zeit ist etwas passiert: Wir haben eine Art romantische Vorstellungen rund um Kreativität entwickelt. Viele betrachten Kreativität heute als etwas, das nur wenigen Auserwählten zur Verfügung steht. Wenn Sie diesen Newsletter lesen, wissen Sie bereits, dass das nicht wahr ist. Und: Wir können Ihnen sofort den Beweis erbringen.
Starten wir also mit einem Gedankenexperiment: Stellen Sie sich bitte vor, Sie wollen Ihr Zuhause verlassen. Sie stehen schon bei der Türe und stecken alles ein, was Sie brauchen: Ihr Handy, Ihre Geldbörse und Ihren Schlüssel. Doch – wo sind Ihre Schlüssel? Sie sind nicht in Ihrer Tasche, sie liegen nicht vor Ihnen. Die große Suche beginnt.
In diesem Moment setzt eine wichtige Abfolge von Denkprozessen ein:
- Zuerst sagt Ihnen Ihr Gehirn instinktiv, dass Sie an der Stelle nachsehen sollen, wo Sie normalerweise Ihre Schlüssel hinlegen. Sie gehen also dorthin und werfen einen Blick auf die spezielle Stelle. Allerdings ist weit und breit kein Schlüssel in Sicht.
- Nun beginnt Ihr Gehirn, fieberhaft nachzudenken. Vielleicht sind sie hinuntergefallen oder liegen daneben? Sie suchen auf dem Boden und neben der Stelle. Nichts.
- Jetzt kommt der faszinierende Teil: Ihr Gehirn wird immer kreativer. Sie schauen im Flur nach. Dabei fällt Ihnen der Mantel auf, den Sie seit Tagen nicht getragen haben. Dann überprüfen Sie nochmals Ihre Schlüsselbox (wer weiß, vielleicht haben Sie den Schlüssel nur übersehen?).
- Sie beginnen sogar ungewöhnliche Erklärungen dafür zu suchen, wo sich Ihre Schlüssel verstecken könnten. Vielleicht hat Ihr Partner oder Ihre Partnerin sie eingesteckt oder Sie haben sie am Abend im Restaurant vergessen (obwohl Sie nach Hause gekommen sind)? Oder jemand ist in Ihre Wohnung eingebrochen und hat sie gestohlen (was keinen Sinn ergibt, da Einbrecher Ihre Schlüssel ja offensichtlich dann nicht bräuchten)? Ihr Gehirn erfindet und prüft viele unterschiedliche Lösungen. Sie suchen nach kreativen Wegen und Orten, um Ihren Schlüssel wiederzuentdecken.
- Mit etwas Glück und vielen Versuchen finden Sie dann doch noch Ihre Schlüssel (Sie haben sie bereits eingesteckt) und können noch rechtzeitig das Haus verlassen.
Die Sache ist die: Unser Gehirn ist von Natur aus kreativ, wenn wir genügend motiviert sind. Dazu brauchen Sie keine Brainstorming-Übung durchführen oder einen besonderen Zaubertrick anwenden. Wenn Ihr Geist motiviert ist und mit einem kniffligen Problem konfrontiert wird, entstehen erfinderische, ungewöhnliche und unkonventionelle Ideen von alleine. Das erklärt, warum wir Menschen überlebt haben, obwohl wir nicht die Stärksten oder Schnellsten sind. Aber wir sind gut darin, Probleme zu lösen, wenn wir einen Grund dafür finden.
Vielleicht sagen Sie jetzt, dass die Suche nach dem Schlüssel an ungewöhnlichen Orten nicht wirklich kreativ ist – aber genau das ist der Punkt. Kreatives Arbeiten ähnelt der Schlüsselsuche. Sie müssen verschiedene Alternativen durchdenken, von denen viele nicht funktionieren, bevor Sie auf eine nützliche Idee stoßen. Aus diesen „gescheiterten“ Ideen lernen Sie viel, und diese Erfahrungen tragen dazu bei, dass Ihre spätere Suche erfolgreich ist.
Die Arbeit mit Ideen ist nie ein effizienter Prozess. Sie ist chaotisch und unsicher und vor allem unabhängig vom Talent.



