Neulich leitete ich in einem Design-Thinking-Workshop. Während alle eifrig ihre bunten Post-its beschrieben und wild gestikulierend ihre Ideen präsentierten, fiel mir eine Teilnehmerin auf, die einfach nur dasaß und zuhörte. Mit einem leichten Lächeln beobachtete sie das Geschehen, während die anderen um die „innovativste“ Lösung wetteiferten. In der Kaffeepause sprach ich sie an. „Ich sammle noch“, sagte sie, „manchmal muss man erst verstehen, bevor man richtig versteht.“ Diese simple Aussage blieb bei mir hängen wie ein Post-it, das sich weigert abzufallen.
Es ist paradox: Wir verbringen Stunden damit, über Bedürfnisse der Nutzer:innen zu sprechen, füllen ganze Wände mit Personas und Journey Maps. Aber wie oft nehmen wir uns wirklich die Zeit, einfach nur zu beobachten?
In unserer Innovationskultur gibt es ein interessantes Muster:
- Wir wollen schnell zu Lösungen kommen
- Wir verwechseln oft Aktivität mit Fortschritt
- Wir haben Angst vor der Stille
- Wir übersehen das Offensichtliche
Die stille Beobachterin im Workshop hatte etwas verstanden, das vielen von uns fehlt: Innovation beginnt nicht mit der Lösung, sondern mit dem Verstehen. Nicht mit dem Reden, sondern mit dem Zuhören.
Es ist erstaunlich:
- Ein Produktdesigner verbringt einen Tag im Rollstuhl und entwickelt eine bahnbrechende Verbesserung
- Eine Architektin beobachtet Kinder beim Spielen und entwirft daraufhin einen völlig neuen Schulhof
- Ein Team begleitet einen Tag lang Pflegekräfte und revolutioniert die Krankenhaus-Software
Keine dieser Innovationen entstand am Whiteboard. Sie entstanden durch Beobachtung, durch Empathie, durch das Eintauchen in eine andere Perspektive. Und genau hier liegt das eigentliche Geheimnis des Design Thinking: Nicht in den bunten Post-its, nicht in den zeitlich getakteten Sprints, nicht in den perfekt moderierten Workshops. Sondern in der Fähigkeit, einen Schritt zurückzutreten und wirklich zu sehen.
Es geht nicht darum, langsamer zu sein. Es geht darum, tiefer zu gehen. Nicht darum, weniger zu innovieren, sondern präziser zu verstehen, wo Innovation wirklich gebraucht wird. Wir versuchen immer bewusst, unsere Workshops anders zu beginnen. Nicht mit der Frage „Wie können wir…?“, sondern mit der Aufforderung „Lasst uns erst mal schauen…“
Die stille Beobachterin aus dem Workshop präsentierte ihre Idee als letzte. Es war keine revolutionäre Technologie, kein disruptives Geschäftsmodell. Es war eine simple Lösung, geboren aus stundenlangem Zuhören und Beobachten. Und es war die einzige Idee, die sofort auf einhellige Zustimmung stieß.
Das nächste Mal, wenn Sie in einem Innovationsworkshop sitzen und alle um Sie herum eifrig Post-its beschreiben, erinnern Sie sich an die stille Beobachterin. Vielleicht ist es an der Zeit, das Innovative am Nicht-Innovieren zu entdecken.


