Als Führungskräfte stehen wir täglich vor komplexen Entscheidungen. Wir analysieren Daten, wägen Risiken ab und vertrauen auf unsere Erfahrung. Und doch: Selbst mit dem besten Team und fundiertem Fachwissen können unsere Entscheidungsprozesse durch kognitive Verzerrungen beeinträchtigt werden – jene subtilen Denkmuster, die unbemerkt unsere Urteilsfähigkeit beeinflussen.
In unserer Arbeit mit Führungsteams sehen wir immer wieder, wie selbst erfahrene Entscheider in kognitive Fallen tappen. Ein Beispiel aus der Praxis hat sich besonders eingeprägt: Ein Managementteam investierte weiter in ein Projekt, obwohl die Kennzahlen bereits deutliche Warnsignale sendeten. Der Grund? Der Sunk-Cost-Effekt – niemand wollte die bereits investierten Ressourcen als verloren betrachten. Am Ende verdoppelten sich die Verluste.
Was mich daran nachdenklich stimmt: Das Team bestand aus analytisch denkenden Menschen mit jahrelanger Erfahrung. Und dennoch waren sie nicht immun.
Im Laufe der Jahre haben wir in unseren Workshops beobachtet, dass bestimmte kognitive Verzerrungen im Führungskontext besonders häufig auftreten:
- Bestätigungsfehler: Wir nehmen bevorzugt Informationen wahr, die unsere bestehenden Annahmen bestätigen. In Meetings zeigt sich das oft darin, dass wir für gegenteilige Perspektiven plötzlich taub werden – nicht aus Böswilligkeit, sondern weil unser Gehirn sie automatisch filtert.
- Verfügbarkeitsheuristik: Ereignisse, die wir uns leicht vorstellen können, erscheinen uns wahrscheinlicher. So konzentrieren wir uns manchmal auf medienwirksame Risiken, während wir subtilere, aber gravierendere Gefahren übersehen.
- Gruppendenken: Der Wunsch nach Harmonie kann kritisches Denken verdrängen. Ich erinnere mich an ein Strategiemeeting, in dem alle Beteiligten einer riskanten Expansion zustimmten – nicht weil sie überzeugt waren, sondern weil niemand als Spielverderber erscheinen wollte.
- Überoptimismus: Kennen Sie das? Projekte dauern länger und kosten mehr als geplant, während der erwartete Nutzen oft geringer ausfällt. Diese systematische Fehleinschätzung ist kein Zufall, sondern ein kognitives Muster.
Das Interessante an kognitiven Verzerrungen: Selbst wenn wir sie kennen, sind wir nicht automatisch gegen sie gefeit. In stressigen Situationen, unter Zeitdruck oder bei hoher Komplexität – also genau dann, wenn wichtige Entscheidungen anstehen – greifen wir besonders leicht auf vereinfachende Denkmuster zurück.
In unserer Arbeit mit Teams haben sich einige Ansätze als besonders wirksam erwiesen:
- Pre-Mortem-Analysen: Diese einfache, aber kraftvolle Methode beginnt mit einer ungewöhnlichen Frage: „Stellen Sie sich vor, unser Projekt ist gescheitert. Was könnte schiefgegangen sein?“ Indem wir das Scheitern vorwegnehmen, umgehen wir den Optimismus-Bias und erkennen potenzielle Probleme frühzeitig.
- Kritische Perspektiven einladen: Bitten Sie gezielt um konstruktive Kritik. In einem Workshop fragten wir einmal die Teilnehmenden: „Wenn Sie dieses Konzept sabotieren wollten – wo würden Sie ansetzen?“ Die Antworten offenbarten verborgene Schwachstellen, die sonst unentdeckt geblieben wären.
- Entscheidungsmatrizen: Komplexe Entscheidungen lassen sich durch klar definierte Kriterien strukturieren. Nicht um Bauchgefühle zu eliminieren, sondern um sie durch zusätzliche Perspektiven zu ergänzen.
Was wir in unserer Arbeit immer wieder erleben: Teams, die sich aktiv mit kognitiven Verzerrungen auseinandersetzen, entwickeln nicht nur bessere Strategien – sie schaffen auch eine offenere Kommunikationskultur. Plötzlich ist es legitim, Annahmen zu hinterfragen. Kritik wird nicht als Angriff, sondern als wertvoller Beitrag verstanden.
In moderierten Workshops erleben Führungsteams, wie sie:
- ihre eigenen Denkmuster erkennen und reflektieren können
- robustere Entscheidungsprozesse etablieren
- eine Kultur des respektvollen kritischen Denkens fördern
Ein persönlicher Gedanke zum Schluss
Nach Jahren der Beschäftigung mit diesem Thema – sowohl theoretisch in meinem Buch, als auch praktisch in der Arbeit mit Führungsteams – bin ich überzeugt: Der bewusste Umgang mit kognitiven Verzerrungen ist nicht nur ein Werkzeug für bessere Entscheidungen. Er ist auch ein Weg zu mehr Verständnis und Respekt im Umgang miteinander. Denn wenn wir erkennen, dass wir alle diesen Denkmustern unterliegen, werden wir nachsichtiger mit den vermeintlichen „Fehlern“ anderer – und vielleicht auch mit unseren eigenen.
Falls Sie mehr zum Thema erfahren möchten, finden Sie in dem Buch „Die 7 Ausreden der Unternehmen“ vertiefende Einblicke und praktische Übungen für Ihren Alltag.



